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Wahlkampf mit dem Tod – Die mexikanischen Grünen und die Todesstrafe

Umfragen zufolge liegt die Zustimmung zur Todesstrafe in der Bevölkerung bei etwa 75 Prozent. Eine für Mexiko beispiellose Gewaltwelle hat für eine angeheizte Stimmung gesorgt, in der Rachegelüste mehr Platz haben als die nüchterne Analyse sozialer Ursachen. Das Potenzial, im Trüben zu fischen, ist groß. Dies nutzen ausgerechnet die Grünen in Mexiko aus. -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen über und aus Lateinamerika.

Angesichts der konsequenten Haltung der mexikanischen grünen Partei PVEM zur Wiedereinführung der Todesstrafe haben die Europa-Grünen die Anerkennung der PVEM als Teil der Grünen Familie zurückgezogen:

Januar 2009

Die Autobahn von Mexiko-Stadt nach Cuernavaca ist links und rechts mit großflächigen Werbetafeln gespickt. Eine der hervorstechendsten Anzeigen lautet folgendermaßen: „Weil uns Dein Leben interessiert – Todesstrafe für Entführer und Mörder“. Die Riesenplakate sind auch an den Rändern mehrerer Verkehrsadern in der Hauptstadt sowie in anderen Landesteilen zu sehen. Begleitet wird die aufwändige Kampagne von Spots in Radio und Fernsehen.

Im Prinzip ist es keine Überraschung, dass angesichts immer brutalerer Drogenmorde und Aufsehen erregender Entführungsfällen mit verstümmelten und/oder getöteten Opfern das Plädoyer für die Wiedereinführung der Todesstrafe in Mexiko AnhängerInnen findet. Wer mit der mexikanischen Politik nicht so vertraut ist, könnte jedoch verwundert sein über die InitiatorInnen der Kampagne. Es sind die PolitikerInnen der Grün-ökologischen Partei Mexikos (PVEM).

Die PVEM und die Lebensrechte

Seit dem Sommer 2008 setzt sich die PVEM aktiv für die Todesstrafe ein. Auf den ersten Blick verwunderlich. Schließlich lauten die drei Leitprinzipien der Partei „Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit“. Und in der Prinzipienerklärung heißt es: „Besondere Bedeutung haben in der Partei die Menschenrechte“, wobei im Folgenden allerdings vor allem auf die „Lebensrechte der Tiere und Pflanzen“ abgezielt wird.

Warum will eine Partei, die sich vehement für das Lebensrecht der Stiere und Robben einsetzt, die Todesstrafe für Entführer und "Mitglieder oder ehemalige Mitglieder von Armee, Marine, Polizei und Bundesministerien, die an einem Delikt beteiligt sind“? Eine der wohl interessantesten Argumentationen lieferte im Dezember 2008 der grüne Parlamentsabgeordnete Xavier López Adame: „Ich habe keine Robbe, keinen Stier oder irgendein anderes Tier gesehen, das solche Horrortaten wie der Mensch begeht“ (La Jornada, 10. Dezember 2008, S. 15). Adame wird dort auch mit folgender Klage zitiert: „Es gibt hier Personen, die für die Abtreibung sind, aber gegen die Todesstrafe.“  

Politische Beobachter führen andere Erklärungen an

Die mexikanischen Grünen gelten innerhalb der ohnehin stark diskredierten Parteienlandschaft bei vielen als die wohl opportunistischste aller politischen Gruppierungen. So ist das Thema Todesstrafe ein Beispiel dafür: Bereits in 2003 machte die PVEM im Bundesstaat Mexiko zusammen mit der PRI aus der Befürwortung der Strafe einen Wahlkampfschwerpunkt. Zwei Jahre später stimmte sie im mexikanischen Kongress für ihre endgültige Abschaffung. Jetzt recyceln die mexikanischen Grünen das Thema erneut. Denn im Wahljahr 2009 steht die PVEM vor einer besonderen Herausforderung.

Zwar hat sie für die Parlamentszwischenwahlen am 5. Juli unter dem Namen „An erster Stelle Mexiko“ (Primero México) ein Teilbündnis mit der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) geschlossen. Ein solches Bündnis sichert der PVEM eine Grundpräsenz im Abgeordnetenhaus. Es ist das dritte Mal, dass PRI und PVEM bei Bundeswahlen zumindest eine Teilallianz eingehen: Erstmalig geschah dies 2003. Im Jahre 2006 ging sie ein vollständiges Bündnis für Präsidentschaftswahlen, Senat und Abgeordnetenhaus ein, das sich für die PVEM als äußerst vorteilhaft erwies (vgl. Bericht von Gerold Schmidt, März 2008: „Ein Phänomen: die grün-ökologische Partei Mexikos (PVEM)“.)

Doch gibt es in diesem Wahljahr einen wesentlichen Unterschied: Im Zuge einer von den großen Parteien verabschiedeten Wahlreform muss die PVEM sich auf Bundesebene nach mehr als zehn Jahren erstmals wieder dem tatsächlichen Wählervotum stellen und unter ihrem eigenen Parteilogo antreten.

Ein Exkurs zum mexikanischen Wahlrecht

Das mexikanische Wahlrecht ermöglichte bis einschließlich der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in 2006 eine besondere Art von Wahlallianzen. Dabei traten Parteien unter einem gemeinsamen Logo an. Die Wählerstimmen wurden nicht nach jeweiliger Partei getrennt gezählt. Im Vorfeld der Wahlen schlossen die Bündnispartner Verträge, in denen nach einem ausgehandelten Schlüssel fiktive Prozentzahlen pro Partei in Abhängigkeit vom Wahlergebnis für die Allianz insgesamt festgelegt wurden. Diese Prozentzahlen waren in der Vergangenheit auch die Grundlage für die öffentliche Parteienfinanzierung. Die Bündnisse bestanden bisher ausschließlich aus einer oder mehreren kleineren und einer großen Partei. Der Vorteil für die kleinen Parteien: Sie mussten sich nicht dem tatsächlichen Wählervotum stellen, sondern bekamen per Vertrag stets einen fiktiven Mindestanteil von zwei Prozent der Stimmen zugesichert. Damit sicherten sie sich das politische und finanzielle Überleben. Die drei großen Parteien erhofften sich von den Bündnissen jeweils den entscheidenden Vorsprung vor den anderen beiden Hauptkonkurrenten. Die mexikanischen Grünen spielten meisterhaft auf der Allianz-Klaviatur. Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in 2000 traten sie zusammen mit der PAN an, in 2003 und 2006 mit der PRI. Dem realen Wählervotum auf Bundesebene stellte sich die PVEM zuletzt bei den Parlamentszwischenwahlen von 1997. Damals erreichte sie 3,81 Prozent der Stimmen bei den Wahlen für das Abgeordnetenhaus. Dies bedeutete acht Parlamentariermandate. Das Bündnis mit der PRI in 2006 sicherte der Partei dagegen 17 Abgeordnete.

Zurück zum Wahljahr 2009

Indem die PVEM diesmal unter dem eigenen Parteilogo auf Bundesebene antritt, kann sie nicht mehr vorab einen fiktiven Stimmenanteil und damit eine Mindestfinanzierung mit dem derzeitigen Bündnispartner PRI verhandeln. Dies könnte zu einer bösen Überraschung führen. Zwar werden die mexikanischen Grünen wahrscheinlich problemlos die Zwei-Prozent-Hürde überspringen. Das würde ihnen die weitere Eintragung als politische Partei im Bundeswahlregister und eine Grundfinanzierung sichern. Gleichzeitig aber dürften die wiederholten Behauptungen der Parteiführung, deutlich mehr als fünf Prozent der Wählerschaft hinter sich zu haben, widerlegt werden. Das Parteibudget, das in 2008 von 226 Millionen Pesos (etwa 12,5 Millionen Euro) öffentlicher Gelder gespeist wurde (laut Zahlen der Bundeswahlbehörde IFE sind es in diesem Jahr sogar 303 Millionen Pesos (etwa 16,8 Millionen Euro), vgl. auch La Jornada, 27.01.2009, S.5. Zahlen zu 2008), könnte einen drastischen Einbruch erleiden. Auch die Position als derzeit viertstärkste Parlamentspartei und größte Partei unter den Kleinen ist gefährdet. In diesem Kontext ist die Todesstrafen-Kampagne zu sehen.

Die PVEM setzt auf Stimmenfang

Verschiedene Umfragen verorten die Zustimmung zur Todesstrafe in der Bevölkerung bei etwa 75 bis 80 Prozent. Eine für Mexiko im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren beispiellose Gewaltwelle hat für eine angeheizte Stimmung gesorgt, in der Rachegelüste mehr Platz haben als die nüchterne Analyse sozialer Ursachen. Es existiert ein umfangreiches Potenzial, um im Trüben zu fischen.

Die PVEM-PolitikerInnen nutzen dies, um auf ein Bedürfnis in der Bevölkerung zu verweisen, die Kapitalstrafe öffentlich zu diskutieren. Mit bisher unterschiedlichem Erfolg: Am 20. August 2008 legte die PVEM-Abgeordnete der Ständigen Kommission des mexikanischen Kongresses (Senat und Abgeordnetenhaus) eine Initiative für eine Verfassungs- und Gesetzesreform zur Wiedereinführung der Todesstrafe vor. Die Initiative fordert die Todesstrafe für „Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der öffentlichen Sicherheitsdienste, der Armee, der Marine und der Einrichtungen der Bundesstaatsanwaltschaft, die an der Entführung einer Person beteiligt sind“ sowie „die Todesstrafe für alle, die an der Entführung einer Person beteiligt sind, die während der Gefangenschaft getötet oder verstümmelt wird“. Der komplette Text der Gesetzesinitiative ist als Download auf der Website der PVEM verfügbar. 

Gespaltene Meinungen zur Todesstrafe

Derzeit ist der Vorschlag archiviert. Doch eine Initiative des PRI-Gouverneurs des Bundesstaates Coahuila für die Einführung der Todesstrafe im Herbst 2008 leitete Wasser auf die Mühlen der PVEM. Ihre lokalen Abgeordneten stimmten zusammen mit den lokalen PRI-ParlamentarierInnen dem Vorschlag gegen die Stimmen der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) und der linksmoderaten Partei der Demokratischen Revolution (PRD) zu. In der PRI sind die Meinungen zur Todesstrafe auf nationaler Ebene gespalten. Es gibt offene BefürworterInnen und GegnerInnen. Doch selbst die PRI-BefürworterInnen unterstützen die Todesstrafe mit wesentlich weniger „Begeisterung“ als die politischen Figuren der PVEM. Innerhalb der mexikanischen Grünen sind bisher keine abweichenden Meinungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe öffentlich geworden 

Auch in diesem Fall bestand die Absicht darin, das Bundesparlament zu einer öffentlichen Diskussion der Todesstrafe zu bewegen. Im Dezember 2008 scheiterte ein erster Versuch der PVEM, vom mexikanischen Kongress organisierte Foren über die Todesstrafe zu veranstalten. Im Januar 2009 bekamen sie im zweiten Anlauf dagegen die Zustimmung von ihren KollegInnen in der Ständigen Kommission des Kongresses. Offenbar möchte sich niemand vorwerfen lassen, dem Thema aus dem Weg zu gehen. Möglicherweise werden die Foren im Verlauf der am 1. Februar beginnenden nächsten Sitzungsperiode des Parlamentes realisiert. Damit hätte die PVEM ihr Ziel erreicht, das Thema Todesstrafe vor den Juli-Wahlen noch publikumswirksamer zur Sprache zu bringen.

Todesstrafe – lediglich eine wahlpolitische Kampagne

Der rein wahlpolitische Charakter der Initiative wird dadurch deutlich, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe in Mexiko kaum möglich ist. Seit Jahrzehnten nicht mehr angewandt und bis 2005 theoretisch noch für Mitglieder des Militärs möglich, stimmte das Parlament auf Initiative des damaligen konservativen Präsidenten Vicente Fox in 2005 geschlossen ihrer Abschaffung zu. Die Unterzeichnung des Protokolls der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zur Abschaffung der Todesstrafe im Juni 2007 sowie andere internationale vertragliche Verpflichtungen  erschweren ein Rollback zusätzlich. Ganz abgesehen davon, dass Mexiko sich vehement gegen die Vollstreckung von Todesurteilen gegen mexikanische Bürger in den USA gewandt hat und auf internationalen Foren und in der UNO gegen diese Strafe eingetreten ist.

Gerade die Argumentation im Falle der USA ist illustrativ: Dort wurden in erster Linie Verfahrensmängel angeführt. Ethische Betrachtungen einmal außen vorgelassen: In einem Land wie Mexiko, in dem nach offiziellen Angaben 99 Prozent aller Delikte straffrei bleiben und Justiz und Polizei zu den korruptesten Autoritäten gehören, kann von gesetzmäßigen Verfahren und Rechtssicherheit noch viel weniger die Rede sein als beim nördlichen Nachbarn. Im Fall der Todesstrafe hat dies im wahrsten Wortsinne fatale Auswirkungen. Für die PVEM alles nicht stichhaltig. Nach dem bereits zitierten Abgeordneten Aldame ist es machbar, dass Mexiko von den unterschriebenen internationalen Verträgen zur Abschaffung der Todesstrafe mit dem Hinweis auf die schwerwiegende Sicherheitssituation und die Fälle von Selbstjustiz zurücktritt (→ Quelle

Auffallend ist bisher, wie zurückhaltend der Parteivorsitzende Jorge Emilio González Martínez in der Diskussion ist. Offenbar zieht er es vor, die anderen Parteifiguren vorzuschicken. Laut einem auf der PVEM-Website veröffentlichten Interview mit dem grünen Senator Francisco Agundis Arias arbeitet González allerdings an einem Referendum zum Thema.

Agundis selbst hofft zudem auf andere Kräfteverhältnisse im Parlament nach den Zwischenwahlen: „Das Bündnis von PRI und PVEM kann sich als äußerst wichtig erweisen, denn es wird helfen, diese Initiative solider zu machen. Innerhalb der PRI kann die grüne Partei auf wichtige Hilfe für die Verabschiedung zählen.“ Wie seine ParteifreundInnen hat Agundis keine Bedenken bezüglich der Todesstrafe (im konkreten Fall bezieht er sich auf ein Sprengstoffattentat in der Stadt Morelia, bei dem mehrere Menschen getötet wurden): „Zweifellos muss die Todesstrafe angewendet werden, denn es ist unmöglich, dass diese Personen in der Gesellschaft existieren können.“

Eine fragwürdige Strategie

Ob sich die Todesstrafen-Kampagne für die PVEM tatsächlich in Stimmen auszahlt, ist indes fraglich. Interessanterweise finden sich bei den Kommentaren im Internet mehrere Stimmen von Personen, die explizit nicht GegnerInnen der Todesstrafe sind, aber den mexikanischen Grünen jegliches moralische Recht absprechen, für sie einzutreten. Ein Beispiel für einen anonymen Beitrag: „Als die Grünen entstanden, war ihr Motto „Wähle keinen Politiker, wähle einen Umweltschützer“. Was ist das für eine Klasse Umweltschützer, die für den Tod eintritt?“ Die Befragung zur Todesstrafe auf der offiziellen Website der PVEM zeugt ebenfalls nicht von Enthusiasmus. Zwar antworten auf die Frage „Bist Du einverstanden mit dem Vorschlag der Grünen gegen die Entführungen, Todesstrafe eingeschlossen?“ 81,4 Prozent der TeilnehmerInnen mit Ja und nur 18,6 mit Nein. (→ Quelle). Doch eine Beteiligung von insgesamt nur 4386 Personen an der inzwischen fünf Monate laufenden Internetbefragung deutet jedoch nicht darauf hin, dass der PVEM die Kompetenz in dieser Frage zugestanden wird. Immerhin gab die Partei bereits in den 90er Jahren an, 500 000 Mitglieder zu haben.

Eine politische Kehrtwende der PVEM ist nicht zu erwarten. Zumindest nicht vor den Wahlen. Den Versuchen vor allem europäischer „Schwester“-Parteien, diesbezüglich Einfluss zu nehmen, dürften durch die mexikanische Realität Grenzen gesetzt sein.